An dieser Stelle erschien im vergangenen Jahr der Beitrag “China verstehen? Diese Filme können Dir helfen!” mit dem Hinweis auf 100 chinesische Filme, die ein “rundes und tiefes Profil” des Landes aufzeigen. Überraschend fehlt auf dieser Liste ‹Mr. Vampire›, ein Hongkong-Kinofilm von 1985, der das Genre des Kungfu-Vampirfilms begründete; das Rezept erwies sich als so erfolgreich, dass vier Folgefilme (Sequels) gedreht wurden. Mit einfachen filmischen Mitteln ohne Computerbearbeitung entsteht in den Hongkonger Bergen des frühen 20. Jahrhunderts ein Filmfest aus Komödie, Kungfu und Horror.
Der Vampir ist in der chinesischen Tradition ein 殭屍 (jiāngshī), ein Untoter, halb Zombie halb Vampir, und wird wegen seiner Unfähigkeit zu fliegen oder zu gehen auch als “hüpfender Vampir” bezeichnet. Er trinkt kein Blut und tötet nicht wahllos, ist aber hochgefährlich und übernatürlich stark. Das Wort 殭屍 setzt sich zusammen aus 屍 für ‘Leiche’ und 殭 (als Variante auch 僵) für ‘starr, steif’. Die umgedrehte Kombination 屍僵 ist die Totenstarre. Die Wortwahl (besser Zeichenwahl) spielt darauf an, dass die Totenstarre eben nicht nachlässt, der Körper nicht zerfällt, sondern als Wiedergänger zurückkehren wird. Im Film sind die Vampire alle steif und starr, bewegen sich höchst unnatürlich und stechen ihren Opfer mit steifen, fingernagelbewährten Fingern ins Herz.
Diese Details sind das Einmaleins für Meister Kau, einen taoistischen Mönch und Gelehrten, der sich auf Zaubersprüche und Wundermittel versteht und so die übernatürlichen Kräfte im Zaum hält. Er hat einen Freund zu Besuch, einen Totengräber, der sich mit Kaus Hilfe das Leben einfacher gestaltet: Die Toten werden nicht auf Bahren getragen, sondern nachts, wenn sie niemand sieht, auferweckt und in Bewegung gesetzt. So kann in einer Nacht eine ganze Leichenhalle transportiert werden ohne dass jemand hätte schwere körperliche Arbeit verrichten müssen. Die Handlung des Films jedoch setzt Herr Yam in Gang, ein reicher Geschäftsmann, der Meister Kau mit der Exhumierung seines vor 20 Jahren verstorbenen Vaters beauftragt. Der Schrecken ist groß, als sich die Leiche als nicht zersetzt herausstellt, in all den Jahren ist sie keine Woche gealtert. Herr Yam willigt in eine Einäscherung nicht ein, “alles, nur das nicht”, und so bekommt der Vampir seine Gelegenheit.
Verkompliziert wird die Lage durch einen weiblichen Geist (im chinesischen Märchen auch “Fuchsgeist” genannt). Sie sucht sich Kaus Gesellen als Opfer ihrer unlauteren Liebesbemühungen: Verkleidet als junge Frau lockt sie ihn in ihre Höhle, seine verhexten Sinne nehmen dort nur Luxus wahr; dass er sich selbst aus dieser Beziehung wird befreien können, erscheint unmöglich. Studenten sind das Beuteschema schlechthin für chinesische Geister; jung und mittellos verbringen sie viele Stunden über ihre Bücher gebeugt, oft bis tief in die Nacht hinein. Ihre Einsamkeit wirkt anziehend und in ihren Wachträumen rufen die Studenten liebende Hände und Erlösung vom Prüfungsstress geradezu herbei.
Die weltlichen Behörden der Republik China sind in diesen Sphären gänzlich überfordert. Die Polizei setzt nicht nur sich, sondern gleich auch Meister Kau außer Gefecht bei dem Versuch, sich persönliche Vorteile zu verschaffen. Der Polizeihauptmeister ist ein Neffe Yams und hat ein Auge auf dessen Tochter geworfen. Schnelle Ermittlungserfolge müssen also her, und an Geister oder gar Vampire glaubt doch kein Mensch mehr. Wer wäre denn bei Trost, einem alten Mann wirre Theorien über lange Fingernägel abzunehmen?
In den Kinos von 1985 war der Film ein Erfolg, und auch heute besticht er durch schauspielerische Leistung, Drehbuch und Wortwitz. Wenn bspw. Meister Kau zum ersten Mal in ein westliches Kaffeehaus geht, so sind ihm “Auländer-Tee” nicht geläufig und der Unterschied zwischen “Coffee” und 咖啡 (kā fēi) kann verwirren, vor allem wenn zusätzlich Milch und Zucker serviert werden. Als Chinesisch Lernende haben wir alle solche Szenen erlebt. Die Komödie erlaubt die Darstellung des Realen im Absurden und macht den Film so sehenswert: Es sind habgierige Tricksereien, die überhaupt erst den Vampir erwachen lassen, es sind Kindereien der Erwachsenen, die die Gefahr tödlich machen, und Liebeswerben jeglicher Art führt in unabsehbare Abgründe.
Im Film kann man sich auch auf die erste Viertelstunde (bis zur Szene im Kaffeehaus) beschränken, in der die Aspekte und Techniken des Films bereits alle vertreten sind. So kann man den Film gesehen haben ohne die doch etwas langatmigen 96 Minuten ganz anschauen zu müssen.
Vokabular zum Film
Personennamen | ||
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九叔 | jiǔshū | Meister Kau, ein taoistischer Gelehrter, der über magische Kräfte verfügt |
秋生 | qiū shēng | sein Geselle |
文才 | wén cái | sein Lehrling, ein gutmütiger Tollpatsch |
任老爺 | rén lǎo ye | Herr Yam, ein reicher Geschäftsmann und Kunde von Meister Kau |
婷婷 | tíng tíng | Tingting, seine Tochter, eine junge Frau aus der Hauptstadt |
董小玉 | dǒng xiǎoyù | Jade, der Geist einer jung verstorbenen Frau |
阿威 | ā wēi | A‘wei, Neffe des Herrn Yam, ein unfähiger Polizist |
Vokabular | ||
殭屍1 | jiāngshī | Vampir, Untoter, wörtl. “starrer Leichnam” |
殭屍先生 | jiāngshī xiānshēng | ‹Herr Vampir› [der Titel des Film, engl.:] ‹Mr. Vampire› |
外國茶 | wài guó chá | (wörtl.) ‘ausländischer Tee’, Kaffee, chn. auch 咖啡 oder als Fremdwort ‘coffee’ |
準咖啡 | zhǔn kā fēi | schwarzer Kaffee |
火化 | huǒ huà | Einäscherung, das Verbrennen einer Leiche |
妓院 | jì yuàn | ein Bordell, Freudenhaus |
指甲 | zhǐ jia | Fingernagel |
糯米 | nuò mǐ | Klebreis, engl.: glutinous rice |
女鬼 | nǚ guǐ | weiblicher Geist, Fuchsgeist |
Links
Der Trailer des Films von 1986 ist auf YouTube. Der Film selbst ist ebenfalls dort verfügbar auf Mandarin mit englischen Untertiteln, oder mit englischen und chinesischen Untertiteln (hier ist die Tonspur allerdings auf dem linken Ohr Mandarin und auf dem rechten Kantonesisch).
Der Film ist auch im Handel erhältlich als DVD bei Händlern hier oder als Blue-Ray hier. Der Titel ist ‹殭屍先生› und nicht zu verwechseln mit den Sequels.
Zum Weiterlesen auf Wikipedias Seite zum Film ‹Mr. Vampire› und den Jiang Shi, den chinesischen Vampiren. Eine Rezension mit Fokus auf den filmischen Elementen findet sich auf hier auf artreview.com.
Hier zeigt sich wieder, wie wenig vorteilhaft die sog. vereinfachten Zeichen sind. Die traditionelle Schreibweise 殭屍 mit 屍 shī für “Leiche” beinhaltet den Radikal 死 sǐ für “sterben”. Die Vereinfachung zu 僵尸 verzichtet unnötigerweise auf diese Kennzeichnung.↩︎