Franziska Sauter hat Jura studiert und ist nach Abschluss des ersten Staatsexamens mit Sprache&Praxis im 24. Jahrgang nach China gegangen. Man kann wohl ohne Übertreibung behaupten, dass dieser Jahrgang der turbulenteste der Geschichte des Stipendienprogramms war. Während der Semesterferien wurde der Ausbruch einer neuartigen Lungenkrankheit in Wuhan bekannt. Daraufhin wurden alle Stipendiaten angewiesen nach Deutschland zurückzukehren. Wie das ihren Aufenthalt beeinflusst hat, erzählt uns Franziska, die sich zurzeit in Freiburg auf den Beginn ihrer Promotion und auf ihre HSK 6 Prüfung vorbereitet.
Was hat dich dazu bewegt, dich für das Sprache&Praxis-Stipendium zu bewerben?
Ich war schon für ein Austauschjahr mit dem DAAD in China und dort wurde das Sprache&Praxis-Stipendium vorgestellt. Ich hatte mir schon zuvor vorgenommen, nach dem Staatsexamen wieder nach China zu gehen und das Programm hat mir gut gefallen. Ich wollte den Alltag auch außerhalb des Unibetriebs erleben und Chinesisch im Beruf nutzen können. Dafür erschien mir das Stipendienprogramm ideal, was sich später auch bewahrheitet hat.
Warum gerade China?
Ich war über einen Schüleraustausch zwei Wochen an einer chinesischen Schule und die Sprache und Schrift haben mich gereizt. Später kam noch mein Interesse an Kampfkunst hinzu. Ich habe dann an der Uni angefangen, neben dem Studium Chinesisch zu lernen und bin auch während des Studiums für ein Austauschjahr nach China.
Wieso hast du dich für das relativ lange Sprache&Praxis-Stipendium entschieden und nicht etwas Kurzes wie ein Austauschsemester gewählt?
Ich wollte mir bewusst Zeit nehmen für die Sprache und dann die Chance haben, das Gelernte auch im beruflichen Kontext einsetzen zu können. Während meines ersten längeren Chinaaufenthalts war ich als Austauschstudentin dort und im Fach Jura eingeschrieben. Daher konnte ich nur nebenbei Chinesischkurse belegen. Aber Chinesisch ist nun mal keine Sprache, die man nebenbei lernt. Ich wollte Zeit haben, mich nur darauf zu konzentrieren.
Welche Erwartungen hattest du an das Stipendienprogramm und wie wurden diese umgesetzt?
Zum einen wollte ich mein Chinesisch verbessern. Zum anderen wollte ich einen Einblick in die Berufswelt bekommen. Durch das Rahmenprogramm haben wir viele interessante Karrierewege vorgestellt bekommen und konnten unser eigenes Netzwerk deutlich erweitern. Ich fand die Erzählungen und Erfahrungen ehemaliger StipendiatInnen und die Alumni-Netzwerkveranstaltungen sehr hilfreich und inspirierend. Später habe ich auch durch dieses Netzwerk einen Praktikumsplatz gefunden. Das Praktikum war sehr spannend und ich habe dort auch wie erhofft Inspiration für meine geplante Promotion erhalten. Ich habe häufig Aufsätze und Artikel zu aktuellen Themen verfasst und konnte dadurch einen guten Überblick zu möglichen Themen erhalten.
Wie gut konntest du in dieser Zeit Chinesisch lernen und was ist nötig, um die Sprache zu lernen?
Wie gut man Chinesisch lernt, hängt gar nicht so sehr vom Unterricht ab. Auch wenn ein gewisser Arbeitsaufwand notwendig ist, ist es wichtiger inwieweit man die Sprache im Alltag und mit Freunden nutzt. Ich war in einem Kungfu Club in dem niemand Englisch sprach. Später an der Kungfu- Schule in Wudang sprachen die meisten Trainer auch kein Englisch. Also blieb mir gar nichts anderes übrig als mein Chinesisch zu nutzen und das hat sich bezahlt gemacht. Ich habe auch angefangen, Bücher auf Chinesisch zu lesen und Filme zu schauen. Ich denke also man kann in dieser Zeit sehr gut Chinesisch lernen, vorausgesetzt, man lebt auch außerhalb des Unterrichts in einem chinesischen Umfeld und nutzt die Sprache.
Jetzt hast du bereits Wudang erwähnt und das hängt ja mit der Besonderheit der Erfahrung deines Jahrgangs zusammen, dem Ausbruch von Covid-19. Welche Folgen hatte das für dich?
Ich war bereits unterwegs auf Reisen in China, als ich davon zum ersten Mal erfahren habe. Anfangs habe ich es noch nicht so ernst genommen, es wusste auch noch niemand genaueres. Allerdings kamen dann immer mehr Nachrichten. Deswegen habe ich beschlossen, zumindest Wuhan auf meinem Weg nach Wudangshan, wo ich eine Kungfu-Schule besuchen wollte, zu überspringen. Damals war bereits klar, dass es sich um eine Lungenkrankheit handelt, an der Menschen sterben. Aber das Ausmaß oder die folgenden Lockdowns und Quarantänen waren noch nicht absehbar. Ich hatte mir selbst auch keine Sorgen um meine Gesundheit gemacht und die Leitung der Kungfu-Schule war ebenfalls zuversichtlich. Sie meinten, sie hätten SARS damals problemlos ausgesessen und sie würden es dieses Mal genauso machen. Und dann war plötzlich alles dicht. Züge und Flüge wurden komplett gestrichen. Es gab keine Möglichkeit mehr rauszukommen. An der Schule waren zu dem Zeitpunkt wegen des Frühlingsfests mehr Ausländer und weniger Chinesen als üblich. Für uns galten aber dieselben Regeln wie für alle anderen. Einmal pro Woche durfte eine Person pro Haushalt einkaufen gehen, wobei wir dann sogar Gruppen gebildet haben und einzelne Personen mit Einkaufslisten losgeschickt wurden. Wir durften uns zum Glück weiterhin innerhalb des Geländes der Kungfu-Schule bewegen und gemeinsam Aktivitäten nachgehen. Darüber hinaus haben wir als Ausländer in Hubei im Lockdown offensichtlich sogar eine gewisse mediale Präsenz erreicht. Die Polizei kam öfter vorbei, um zu kontrollieren und ganz nebenbei wurde gefilmt und anscheinend später auch im chinesischen Fernsehen übertragen.
Das heißt, die Zeit war alles in allem erträglich für dich?
Ja, aber es gab auch Tiefpunkte. Ich habe damals mein Zeitgefühl verloren, aber ich schätze so nach eineinhalb Monaten wurde uns gesagt, dass man jetzt überhaupt nicht mehr raus dürfe und selbst Einkäufe nur noch geliefert würden. Wir hatten von Versorgungsengpässen in Wuhan gehört und hatten wirklich Angst davor, keine Lebensmittel mehr zu bekommen. Tatsächlich gab es dann auch mal für zwei Tage keine Lieferungen. Unser Trainer, ein Amerikaner, hat uns im Endeffekt durch ein Ganztagesprogramm und sehr intensives Training von Panik und Depressionen abgehalten. Die meisten Trainer waren eben wegen des Frühlingsfests gar nicht da und konnten natürlich auch nicht kommen, sodass nur zwei von üblicherweise zehn die Zeit mit uns durchgestanden haben. Um unsere Gesundheit haben wir uns aber nicht wirklich gesorgt. Sechs Stunden Kungfu täglich und ungeheizte Zimmer bei Temperaturen um die null Grad sollten uns genügend abgehärtet haben.
Wie lange ging das so weiter?
Der harte Lockdown dauerte etwa drei Monate. Während dieser Zeit durften wir die Schule nicht verlassen, wobei es einen Direktzugang in die Berge gab, den wir einmal die Woche trotz offiziellen Verbots für Wanderungen genutzt haben – Gewohnheitsrecht quasi. Ich war allerdings noch viel länger dort, denn selbst nach Ende des harten Lockdowns war überhaupt nicht klar, wann und wie Ausländer aus Hubei rauskommen würden. Niemand hatte an Ausländer gedacht, vermutlich weil wir eine so kleine Gruppe waren. Aber für uns gab es nicht einmal die QR-Codes, die überall notwendig waren, um zu reisen. Zum Glück habe ich es rechtzeitig zur Visumsverlängerung im Juli zurück nach Peking geschafft.
Wie sah für dich dann das zweite Semester Chinesisch aus?
Das Semester war ja für alle online und da die Kungfu-Schule in Wudangshan eine Internetverbindung hatte, habe ich eben von dort aus teilgenommen.
Dein Glück war ja, durch das Festsitzen nicht nach Deutschland ausgeflogen worden zu sein. Demnach warst du zu Beginn der Praktikumsphase noch in China und konntest vor Ort ein Praktikum aufnehmen. Wie hat das geklappt und wo bist du gelandet?
Das war anfangs alles noch sehr unsicher. Es war komplett unklar, ob mein Visum überhaupt verlängert würde. Andererseits gab es aber auch kaum Flüge nach Deutschland. Das hieß, selbst wenn ich hätte gehen müssen, wäre nicht klar gewesen, wie. Ich habe über einen Sprache&Praxis Alumnus letztlich ein Praktikum bei einer Kanzlei in Shanghai gefunden und dort im August angefangen. Das war nach einem halben Jahr ländlichem Zentralchina ein massiver Kulturschock. Ich habe mich dann aber eingelebt, hatte eine tolle Mitbewohnerin, die mir die Geheimtipps der Stadt gezeigt hat und habe auch wieder zu einer tollen Kungfu-Schule gefunden, dieses Mal allerdings Wing Chun. Ich wäre am liebsten direkt dort geblieben, aber mein Visum ist im Januar dieses Jahres ausgelaufen und dementsprechend musste ich erstmal zurück nach Deutschland.
Das bringt mich auch zur letzten Frage: Wie hast du dich in Deutschland wieder eingelebt und planst du, wieder nach China zurückzukehren?
Momentan bereite ich mich darauf vor, mit meiner Promotion beginnen zu können, was aufgrund der geschlossenen Bibliotheken schwierig ist. Nebenbei vertreibe ich mir die Zeit mit der Vorbereitung auf die HSK 6 Prüfung, nachdem ich HSK 5 noch im letzten Jahr abgeschlossen habe. Und Kampfsport ist nach wie vor wichtig. Ich trainiere hier mit einer Gruppe im Park und führe mittlerweile auch selbst Trainings durch. Ist ein bisschen fies, weil ich natürlich sieben Monate quasi Profitraining hatte und die anderen Freizeitsportler sind. Da muss ich mich ein wenig zurücknehmen. Ich will auf jeden Fall zurück nach China. Am liebsten wäre ich gar nicht weggegangen aus Shanghai. Für das Arbeitsvisum fehlen mir zur Zeit leider noch die vorgeschriebenen vollen zwei Jahre Arbeitserfahrung. Aber ich plane zu chinesischem Recht zu promovieren und hoffe, dass es bald auch wieder für Studierende und WissenschaftlerInnen möglich sein wird, nach China zu reisen.