Mona Fromm war in ihrem Jahrgang die einzige Stipendiatin, die es trotz COVID-19 für ihr Praktikum nach China geschafft hat. In ihrem Erfahrungsbericht erzählt sie, wie es dazu kam.
Für viele ein Ding der Unmöglichkeit: Ich habe es während der COVID-19 Pandemie nach China geschafft. Sicher musste ich dafür Kompromisse eingehen. Aber vor allem hatte ich Glück.
Die Abreise
Seit Monaten hatte ich auf diesen Moment gewartet. Ich stand am Gate Z52 des Frankfurter Flughafens. An einem Pult mir gegenüber überprüfte eine Flugbegleiterin meine Reisedokumente. Ich hielt ihr mein Handy hin, damit sie den Code auf dem Bildschirm scannen konnte.
Bis zuletzt haben viele in meinem Umfeld nicht geglaubt, dass ich wirklich nach China fliegen würde. Der Prozess der Beantragung eines Visums für China ist schon unter normalen Umständen ein Aufwand. Während einer Pandemie ist es eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Also hatte ich bereits im Mai damit angefangen. Mein Abflugtermin war Mitte September.
Die gut vier Monate dazwischen waren entsprechend anstrengend und mit vielen Unterlagen, Behördengängen und Telefonaten verbunden. Mein Pass mit eingeklebtem Visum kam dann auch erst zwei Tage vor Abflug zurück. Aber immerhin kam er.
Dann die Coronatestungen. Die Krux: Die Ergebnisse müssen rechtzeitig eintreffen, dann hochgeladen und akzeptiert werden – der Testzeitpunkt darf aber nicht zu weit in der Vergangenheit liegen. Meine Ergebnisse waren negativ und kamen gerade rechtzeitig. Allerdings war einer meiner digitalen Codes gelb und nicht rot wie gefordert. So hatte ich immer noch das Horrorszenario im Kopf, am Flughafen stehen bleiben zu müssen.
Nachdem die Flugbegleiterin meinen gelben Code gescannt hatte, sagte sie nur: „Okay“. Dann eine Handbewegung, dass die nächste Person in der Schlange vortreten sollte. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Aber eines wusste ich: Jetzt ging es los. Und offenbar konnte irgendwer, der die Reisehinweise ins Internet gestellt hatte, rot und gelb nicht unterscheiden.
Die Suche
Mittlerweile ist der Flug gut zwei Monate her und ich lebe in Shanghai für den Praxisteil meines S&P-Programms. Ich arbeite für eine kleine Firma, die Schüleraustausche zwischen China und Deutschland organisiert. Rund ein Dutzend Schüler*innen will im Sommer 2022 nach Deutschland fliegen, um dort in ein paar Jahren das Abitur zu machen. Momentan können sie aber erst Deutsch auf A1-Niveau. Ich betreue sie in der Schule und helfe beim Lernen.
Die Schüler*innen nennen mich liebevoll 生活老师 (das englische life teacher passt am ehesten als Übersetzung). Mein Deutsch und meine Ratschläge an Jugendliche sind sicher nicht schlecht, aber eigentlich habe ich etwas ganz anderes gelernt. Eigentlich bin ich Wirtschaftsjournalistin und will das langfristig auch bleiben. Aber als Journalistin in China zu arbeiten, ist schwierig und kann sogar bedrohlich sein.
Deswegen hatte ich mich dazu entschlossen, in dem halben Jahr des Praktikums etwas anderes zu machen als meinen eigentlichen Beruf. Zumal die Zeit zu kurz ist, um eine journalistische Stelle zu besetzen. Die Frage war nur: Was mache ich stattdessen? Ich konnte alles und nichts machen – ein Luxusproblem, und doch quälte mich der Gedanke.
Ich telefonierte ein paar Mal mit der Programmkoordinatorin Melanie Späthe und nutzte ein paar LinkedIn-Kontakte, um mich nach Stellen in meiner Umgebung umzuhören. Alle Gäste aus unserem Rahmenprogramm hatte ich als Expert*innen auf ihrem eigenen chinabezogenen Gebiet in Erinnerung. Ihr teils tiefes, teils breites Wissen inspirierte mich, selbst noch besser informiert zu sein und mir mein eigenes kleines Expertinnengebiet zu suchen. Ebenso verstärkten ihre Vorträge und die Diskussionen den Wunsch in mir, nach China zu reisen. Woher sonst sollte ich die Erfahrung und die neuen Perspektiven bekommen? Wie sonst sollte ich mir eine eigene Meinung bilden? Eine weitere Priorität war, viel Chinesisch zu sprechen, denn der Unterricht an der BFSU hatte mir Grammatik und Vokabeln beigebracht – aber anwenden konnte ich sie leider kaum.
Diese Wünsche gepaart mit Melanies Hinweis, endlich das zu machen, was ich schon immer mal machen wollte, aber nie Gelegenheit dazu hatte, lenkte mich in den Bereich Bildung. So fand ich über ein paar Ecken mein aktuelles Unternehmen mit Sitz in Frankfurt, das seine chinesische Niederlassung in Shanghai hat.
Was dann passierte, war wahrscheinlich pures Glück: Ich telefonierte zur richtigen Zeit mit der richtigen Person. Sie suchte jemanden, der die Schüler in Shanghai betreuen kann, bevor sie nach Deutschland fliegen. Ich suchte eine Stelle im Bildungsbereich, bei der ich Chinesisch reden kann. Dabei hatte ich nicht zu träumen gewagt, einen solchen Job in China zu finden, sondern hatte eher an chinesische Schulen und ähnliche Einrichtungen in Deutschland gedacht.
Wir entschlossen uns, es zu versuchen und gemeinsam den harten Weg der Visumsbeantragung mit all seinen Hürden und Kosten zu gehen. Daraufhin musste meine Kollegin in Shanghai durch genauso viel Bürokratie wie ich in Deutschland. Mindestens.
Das Praktikum
Das Leben in Shanghai und die Arbeit mit den Jugendlichen machen mir sehr viel Freude. Ich lerne viel von den Schüler*innen und über sie. So unterschiedlich sie ihr Schulleben im Gegensatz zu Deutschen auch gestalten, so gleich sind die Probleme, die chinesische Teenager haben. Diese Erkenntnis ist schön, weil sie unsere Kulturen näherbringt.
Ich lebe mit den Jugendlichen in einem Wohnheim. Natürlich habe ich ein eigenes Zimmer, trotzdem bin ich rund um die Uhr mit ihnen zusammen. Ich fahre mit ihnen zur Schule und am Nachmittag wieder zurück zum Wohnheim. Ich helfe bei den Hausaufgaben und beim Lernen. Tagsüber betreue ich sie zum Beispiel bei verschiedenen AGs. Am Wochenende machen wir gemeinsame Ausflüge innerhalb Shanghais. Was bisher zum Glück nur selten vorkam: Krankenhausbesuche oder ähnliche private Angelegenheiten, bei denen sie Unterstützung brauchen. Zwischendurch bleibt für mich etwas Zeit für eigene Unternehmungen (Hobbys, Chinesisch-Unterricht und Sightseeing).
Bisher ist mein Tag leider nicht komplett auf Chinesisch. Mit den Schüler*innen spreche ich eine Mischung aus Chinesisch, Englisch und Deutsch, abhängig von ihrem individuellen Deutsch-Niveau. Die Kolleginnen im Büro sprechen exzellent Deutsch, weswegen es oft leichter ist, auf Deutsch zu kommunizieren. So vermeiden wir Missverständnisse, vor allem, wenn es schnell gehen muss. Das ist nach meiner Erfahrung der Nachteil einer deutschen Firma im Ausland. Daran arbeite ich aber ständig und nutze so viel Chinesisch wie möglich. Außerhalb der Arbeit rede ich zum Glück ausschließlich Chinesisch: beim Essen, bei meinen Hobbys, auf der Straße bei zufälligen Begegnungen.
Zum Schluss ein Disclaimer
Wie gesagt, dass ich jetzt in Shanghai sitze und diesen Bericht schreibe, ist mit sehr viel Glück verbunden. Ebenso mit Geduld und Durchhaltevermögen sowohl auf meiner als auch auf der Seite der Firma. So leid es mir tut, ich möchte betonen, dass aktuell eine Ausreise nach China nach wie vor extrem unwahrscheinlich ist und dass das leider auch noch einige Monate, wenn nicht sogar Jahre so bleiben wird. Wahrscheinlich ist das ein bisschen wie ein Sechser im Lotto – und ich bin ich eine von Tausend, oder von noch mehr.