Zweite Auflage von Barbara Schmitt-Englert’s „Deutsche in China 1920-1950 – Alltagsleben und Veränderungen“ erschienen

Cover des Buchs: Shanghai – Blick über den Huangpu auf den Bund, einschließlich des deutschen Concordia Clubs

Die erste Auflage (2012) dieses spannenden Buches war lange Zeit im Handel vergriffen. Daher ist es erfreulich, dass in diesem Jahr 2021 eine zweite, überarbeitete Auflage erschienen ist (ca. 50 EUR, 694 Seiten, Ludwigshafener Schriften zu China, www.ostasien-verlag.de). Die Autorin hat in dem umfangreichen, wissenschaftlichen Werk viele Quellen von Zeitzeugen zusammengetragen um das Alltagsleben der Deutschen in den Jahren 1920-1950 an drei Orten in China zu beschreiben, nämlich in Shanghai (größter Teil, ca. 250 Seiten), Tianjin (ca. 90 Seiten) und Beijing (ca. 100 Seiten). Dabei sind die Kapitel zu den Orten jeweils noch einmal in Geschichtsphasen untergliedert, enthalten einführend jeweils eine Darstellung der allgemeinen Geographie und historischen Voraussetzungen und sodann Abschnitte zu Unternehmen, Schule und Alltag und besonderen Einrichtungen (etwa der Tongji-Universität) oder besonderen Vorkommnissen (z.B. die nationalsozialistische Intervention).

Besonderer Wert auch für die aktuell in China lebenden Deutschen

Neben dem Erkenntniswert des Buches durch die vielen durchweg mit Fußnoten belegten Details (etwa über die „Blood Alley“ in Shanghai oder über die Verwerfungen des zweiten Weltkriegs für die Deutschen in Shanghai und die Bedeutung Shanghais als Fluchtpunkt) kommt dem Buch für die aktuell in China lebenden Deutschen noch ein besonderer Wert zu aus meiner Sicht: Denn durch das Buch erfährt man anschaulich, wie andere Deutsche zuvor in China gelebt haben, welche Berufe Sie hatten, welchen Freizeitbeschäftigungen sie neben Ihrer Arbeit nachgegangen sind und wie sie ihr Zusammenleben organisiert haben (z.B. durch die deutsche Schule, Kirche, Handelskammer, Vereine und Zeitungen). Die in dem Buch festgehaltenen Erinnerungen laden damit zu einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit für die eigene Standortbestimmung ein, zur Reflexion über die Kontinuität und den Bruch von Traditionslinien. Sie können den aktuell in China lebenden Deutschen zugleich helfen, das Fremdsein in China als „eine Normalität“ anzunehmen, und zwar u.a. dadurch, dass man in den Einzelschicksalen erkennt, nicht der „erste“ seiner Profession in China zu sein (sei es z.B. als deutsche Lehrerin, Hochschulprofessor, Kaufmann, Ingenieurin, Journalist, Bäcker, Studentin, Anwalt oder Ärztin). Es handelt sich allerdings nicht etwa um die Wiedergabe vollständiger Kurzbiographien, sondern die Begebenheiten Einzelner wurden in die jeweiligen Themen eingeflochten.

Viele Kapitel warten noch darauf, geschrieben zu werden

Die Autorin betont gleich zu Anfang, dass das Buch selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann. Ihm könnten noch viele weitere Kapitel über deutsche Gemeinschaften andernorts in China hinzugefügt werden (z.B. über die Deutschen in Qingdao, Nanjing, Hangzhou, Shenyang, Changchun, Chongqing) und auch über viele kleinere Gruppen Deutscher weiter im Inland oder über einzelne Deutsche an entlegenen Orten. Auch zeitlich könnte das Werk bis hin in die Gegenwart ausgedehnt werden. Die Zeit „nach 1950“, also des großen Teils bis in die allerjüngste Vergangenheit wäre von großem Nutzen, insbesondere ab der Öffnung im Jahr 1978 (oder sogar davor vgl. dazu das Buch „So ist die Revolution, mein Freund“ von Uwe Kräuter, der bereits vor 1978 als Deutscher politisches Asyl im kommunistischen China fand). Die jüngere Vergangenheit könnte mit einer großen Vielfalt deutscher Zeitzeugen belegt werden. Der DAAD leistet durch die Entsendung von Stipendiaten und auch durch die Sammlung von Erfahrungsberichten seiner Stipendiaten hierzu fortlaufend einen zentralen Beitrag.

Das Buch ist empfehlenswert, auch wenn es keine Fotos enthält

Leider finden sich keinerlei alte Fotos in dem Buch, die noch einmal einen direkteren Eindruck von dem Alltag der Menschen geben würden. Im Anhang wurden aber einige spannende (Original-)Dokumente abgedruckt, so z.B. die “Satzungen der Deutschen Gemeinde Peiping von 1935”. Die zweite Auflage des Buches wird vermutlich ebenso schnell vergriffen sein wie die erste Auflage. Für diejenigen, die sich dafür interessieren „war zuvor geschah“, also vor der „eigenen Episode“ in China, ist das Buch sicher ein Gewinn.