Go: Chinesischer Denk-Volkssport

Präsident Obamas Gastgeschenk zum ersten Empfang des chinesischen Staatsoberhauptes Hu Jintao im Januar 2011 war ein Go-Brett. Ein was?, wird manche/r fragen, und wie kann ein Brettspiel solch politische Bedeutung haben? Go wird in China und in Asien seit Jahrtausenden gespielt und verehrt. Die Spielidee ist bestechend einfach und hat es vielleicht deswegen bis tief in die chinesische Seele geschafft. Auch daher war Obamas Geschenk1 so ausdrucksstark.

Aber der Reihe nach: Das Go-Spiel ist ein Denkspiel vergleichbar zu Schach. Und doch ganz anders. Wie bei Schach spielt Weiß gegen Schwarz, gemäß einfacher Regeln ohne Zufall. Anders als Schach ist das Spielbrett zu Beginn leer und am Ende des Spiels voll. Der Gegner wird nicht vernichtet, daher wird der Sieger am Ende des Spiels durch Wertung bestimmt – wie bei einem Boxkampf nach der zwölften Runde.

Die Steine werden abwechselnd auf die Schnittpunkte der Linien gesetzt und bewegen sich nicht. Ein gegnerischer Stein wird geschlagen, indem er vollständig umzingelt wird. Der chinesische Name für Go, 围棋 wéiqí, bringt dies zum Ausdruck: Umzingelungs-Spiel oder Einkessel-Schach. Um das Schlagen zu verhindern, baut man in seine Struktur Löcher ein, sog. Augen, wie wenn die Steine dadurch Luft zum Atmen hätten. Die beiden Gleichnisse Augen und Luft verdeutlichen, wie man beim Go denkt: Das Spiel ist abstrakt, aber das Verständnis orientiert sich an der menschlichen Erfahrungswelt. Leben und Tod, Angst und Euphorie, vorsichtiges Abtasten und Wutausbrüche sind oft nur wenige Felder voneinander entfernt. Manchmal nur eines.

Ein Tag mit Tee und Go ist ein guter Tag. Ich überlege hier im Nachhinein, was ich in dem Kampf oben rechts hätte besser machen können. Meine schwarzen Steine hatten nur knapp überlebt.

Im Westen sorgte Go zuletzt mit der Aufregung um neue künstliche Intelligenz für Schlagzeilen. Googles Maschine AlphaGo konnte in den letzten Jahren die Weltbesten aus China, Japan und Korea schlagen2. In Japan ist dagegen schon einige Jahre zuvor ein Hype um Go entstanden, als das Manga Hikaru No Go erschien3. Der zwölfjährige Hikaru entdeckt auf dem heimischen Speicher ein altes Go-Brett, das von einem Go-Geist besessen ist. Zusammen erleben die beiden allerlei Abenteuer, die Hikaru immer weiter in die Go-Welt treiben, vom Go-Verein bis in den vollen Turniersaal.

Asiatische Eltern werden das Go-Spielen ihrer Kinder unterstützen. Nicht nur wegen der Kultur des Miteinander und des Fair Play sondern auch wegen der Förderung der kognitiven Leistungsfähigkeit4. Während die Eltern sich sorgen, spielen die Kinder aus Spaß. Faszinierenderweise übt Go auch im Zeitalter von Videospielen und Smartphones eine Anziehungskraft auf Kinder und Jugendliche aus. Motiviert und hochkonzentriert denken Go-Spieler jeder Altersstufe über den nächsten Zug nach. Der Turniersaal kommt zur Ruhe – eine Stille, die man erlebt haben muss.

Zum Weiterlesen und Weiterspielen

Go-Brett und Steine zum Ausschneiden als PDF

Online Go-Kurs (alle Regeln auf Deutsch) unter playgo.to

Deutscher Go-Bund (Spieleabende in Deutschland) unter dgob.de

GoQuest (kostenfreie App, gut zum Einstieg) auf wars.fm

Hikaru No Go (Anime, Folge 1 mit 23min, japanisch mit deutschen Untertiteln) auf Youtube

Spieltreff in Peking (Ausländer und Chinesen, meist auf Englisch) auf beijinggoclub.com

Ein Go-Salon in Peking, Nähe 珠市口

Spieltreff in Peking (fortgeschritten, nur auf Chinesisch): Tiandi Jian, Adresse: Zhushikou east road building 5 (珠市口)

Der Tiandi Jian ist ein Tee- und Go-Salon in Peking. Die meisten Spieler sind recht fortgeschritten; ich habe hier viele Partien verloren.
Im Tiandi Jian wird mit dem besten Spielmaterial Go gespielt. Die weißen Steine werden aufwendig aus Muscheln geschnitzt und glänzend poliert.
Hier bin ich im Materiallager bzw. den Verkaufsräumen des Tiandi Jian. Die großen Go-Bretter rechts kosten um die €1000, ohne Steine. Muschelsteine und entsprechend schöne Schalen (links hinten im Bild, in der Vitrine) etwa noch einmal so viel.

  1. Hintergrundgeschichte und Fotos von Obamas Go-Brett auf fengyungoschool.com. So luxuriös wie das Geschenk sind noch nicht einmal die Bretter des Tiandi Jian in Peking.
  2. Das Programm AlphaGo und seine Varianten sind Produkte von Googles Tochterfirma Deepmind, näheres unter deepmind.com
  3. Siehe bspw. der BBC-Bericht über den Hikaru-Boom (Youtube, 2:20min)
  4. Der Zusammenhang von Schach und der kognitiven Leistungsfähigkeit von Heranwachsenden ist in der Literatur dokumentiert (PDF). Die kognitive Aktivierung durch Schach (Link) und Go (Link) ist deutlich messbar und vergleichbar.