Interview: Ruth Schimanowski aus Peking über das Leben dort nach der ersten Welle

In der FAZ im Mai diesen Jahres hat Ruth Schimanowski, S&P-Alumna und jetzige Leiterin der DAAD-Außenstelle in Peking, gemeinsam mit Benedikt Brisch, dem Leiter des New Yorker Büros über das Leben nach der ersten Welle in China und die Bedingungen für Studierende gesprochen.

Guten Abend nach Peking, Frau Schimanowski, und guten Morgen nach New York, Herr Brisch. Sie arbeiten beide in Hotspots der Corona-Pandemie. Unter welchen Einschränkungen leben Sie dort?

Ruth Schimanowski: Das Leben in Peking ist noch sehr eingeschränkt, obwohl die Corona-Fallzahlen in China stark gesunken sind und die Regierung die Wiederbelebung der Wirtschaft und des Konsums vorantreibt. Die Einschränkungen und Überwachungen sind noch immer sehr präsent. Zum Beispiel durch den digitalen Health Code: Man muss teilweise nachweisen, dass man 14 Tage am gleichen Ort gewesen ist. Seit Ende Januar sind die Schulen und Universitäten komplett zu. Wir gehen davon aus, dass das Sommersemester weiterhin digital und weitgehend ohne Präsenz der Studierenden läuft. Aber in Deutschland ist es ja ganz ähnlich, wenn ich sehe, wie sehr die Grundrechte und der Alltag fürs Social Distancing eingeschränkt wurden. Ich bin ganz baff, wie chinesisch Deutschland geworden ist. Und in New York?

Ruth Schimanowski, Leiterin der DAAD-Außenstelle Peking und S&P Alumna

Benedikt Brisch: Das ist in Amerika ähnlich wie in Deutschland: Viele sind im Homeoffice, der Nahverkehr ist leer, die Leute tragen alle Masken, viele auch Handschuhe. Die Infektionsrate ist hoch, es gibt viele Tote, aber im Alltagsleben der meisten New Yorker ist diese Dramatik, die in den Medien etwa über die Bilder von Massenbeerdigungen und Intensivstationen transportiert wird, nicht unbedingt zu sehen. Mich erreichen Anfragen aus Deutschland, wie ich es in New York aushalte – aber das entspricht nur bedingt den Realitäten hier.

Sie kümmern sich als DAAD um akademischen Wissensaustausch, aber Reisen sind kaum möglich. Wo sind nun die ausländischen Studierenden?

Brisch: Die Amerikaner haben fast alle ihrer geförderten Stipendiaten aus dem Ausland zurückgeholt. Allerdings vor allem diejenigen, die in Amerika ihren Wohnsitz haben und nur zu kürzeren Aufenthalten im Ausland waren. Wissenschaftler oder Studierende, die länger in Europa oder anderswo leben, sind dort auch teils geblieben. In Amerika halten sich jährlich rund 9000 deutsche Studierende und 4800 deutsche Wissenschaftler auf. Von den DAAD-Geförderten darunter ist gut die Hälfte nach Deutschland zurückgekehrt, eine erhebliche Gruppe ist aber auch hiergeblieben. Die amerikanischen Hochschulen haben größtenteils ihre Wohnheime geräumt, die berühmte amerikanische Campus-Kultur entfällt derzeit völlig.

Benedikt Brisch, Leiter der DAAD-Außenstelle in New York

Schimanowski: In China ist das etwas anders. Die wenigen verbliebenen Studierenden durften zwar im Wohnheim bleiben, aber nicht den Campus verlassen. Die Labore blieben zu und sind es größtenteils bis heute. Die chinesische Regierung macht in Bezug auf die chinesischen Studierenden im Ausland den Spagat zwischen Fürsorge – etwa in Form von Gesundheitspaketen für Studierende, die medienwirksam übergeben werden – und der klaren Empfehlung, nur in Notfällen zurück nach China zu kommen. Alle Rückkehrenden müssen in Quarantäne und sich testen lassen. Viele Studierende sagen auch, die Gefahr, sich während einer Reise zu infizieren, ist ungleich höher und bleiben dann lieber im Ausland. Laut des chinesischen Botschafters in Berlin sind etwa 35 000 von 45 000 Schülern und Studierenden aus China in Deutschland geblieben. Hier in China aber sind nur noch eine Handvoll deutscher Studierende.

Sehen Sie in China trotz aller Einschränkungen so etwas wie Normalität kommen?

Schimanowski: Als ausländischer Studierender ist man in China, wie die chinesischen Studierenden auch, immer einem Betreuer zugeordnet. Man ist derzeit im täglichen Kontakt und wartet auf eine offizielle Aufforderung, dass man an die Uni zurückkommen kann. Die hat es bisher aber noch an keinen Ausländer gegeben. China wird erst einmal schauen, wie es die eigenen Studierenden wieder in den regulären Universitätsbetrieb zurückbringt. In den Schlafsälen auf dem Campus übernachten Chinesen teilweise zu acht, auch die Ausländer sind oft in Mehrbettzimmern untergebracht. Es ist eine große Herausforderung, dort und in der Mensa die Sicherheits- und Hygienebestimmungen umzusetzen. Ich habe bei den Ausländern für das Sommersemester keine große Hoffnung für eine Rückkehr.

Brisch: Wir auch nicht. Was die amerikanischen Hochschulen angeht, gehe ich davon aus, dass es keine Rückkehr zum normalen Präsenzstudieren in diesem Sommersemester geben wird. Zum Wintersemester könnte das Studium aber schrittweise wieder möglich sein.

Wie sehr schaden die Pandemie und der Umgang mit ihr dem Image von China und Amerika als Zielland für junge Akademiker? Schimanowski: China hat irgendwie ständig ein Imageproblem in Deutschland. Es gibt wenig Länder, die in Deutschland so häufig Imageprobleme haben wie China, obwohl wir beste Handels- und Wissenschaftsbeziehungen pflegen. Wir haben schon immer für ein differenziertes und informiertes China-Bild gekämpft, aber es gibt bei China oft schwierige Diskussionen in Deutschland.

Brisch: Bei den Bewerberzahlen für DAAD-Stipendien nach Amerika gab es in den vergangenen Jahren Rückgänge, und auch die jüngsten Zulassungszahlen haben gezeigt, dass die Zahl deutscher Studierender an amerikanischen Hochschulen abnimmt. Und jetzt in der Krise werfen die hohen Corona-Fallzahlen kein gutes Licht auf das amerikanische Gesundheitssystem. Das führt in der Summe bei vielen zu einem kritischen Amerika-Bild in Deutschland.

Es gibt Berichte von Ausländern, die in China und anderen asiatischen Ländern angefeindet werden, weil das Virus teilweise durch Ausländer importiert wurde.

Schimanowski: Man hatte in meiner Wahrnehmung als Ausländerin in China schon immer eine Sonderstellung, die sich mal positiv und mal negativ auswirkt. Man muss auch sehen, dass sich einige Ausländer nicht an die Vorschriften gehalten haben. Wenn ich im Park joggen gehe, habe auch ich lange Zeit meine Maske heruntergenommen – aber irgendwann habe ich zu meinem Mann gesagt, komm, lass uns lieber die Maske tragen. Das ist ein sensibles Thema hier. Ich erlebe aber diese Sonderstellung in all meinen Jahren in China fast ausschließlich als positive Diskriminierung.

Eine längere Version des Interviews gibt es auf der Webseite der FAZ (Paywall).

https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/hoersaal/anrufe-in-peking-new-york-ich-bin-ganz-baff-wie-chinesisch-deutschland-geworden-ist-16746565.html